Kino

Kammerlichtspiele Sonneberg

Freitag, 22.11.2024, 19:00 Uhr
Kammerlichtspiele Sonneberg

Billie - Legende des Jazz

Dokumentarfilm (GB)

Billie – Legende des Jazz

Sonneberger Jazzfreunde laden ins Kino ein

 

Billie Holiday gilt als eine der größten Stimmen des Jazz. Vielleicht war sie überhaupt die Stimme des 20. Jahrhunderts. Sie lebte so intensiv, wie ihre Musik klang. Billie Holiday - eine außergewöhnlich talentierte Frau, die ein Leben auf dem Drahtseil führte, stets vom Unrecht der Rassentrennung, von falschen Freunden und den Auswirkungen ihrer Drogensucht bedroht.

In den 1960er Jahren versuchte die Journalistin Linda Lipnack Kuehl eine Biographie über Billie Holiday zu schreiben. Jahrelang führte sie Interviews, sprach unter anderem mit Charles Mingus und Count Basie, mit John Hammond und Freunden aus der Kindheit. Bevor sie das Buch vollenden konnte, starb sie. Seither wurden Auszüge der Tonbandaufnahmen in Julia Blackburns Biographie „With Billie“ verwendet, aber nun sind sie in dem Film „Billie – Legende des Jazz“ erstmals zu hören.

Gefunden wurden die Bänder von dem Produzenten Barry Clark-Ewers, der sie einem Sammler in New Jersey abgekauft hat: 125 Tonbänder, 200 Stunden Interviews und Linda Lipnack Kuehls unveröffentlichtes Manuskript waren das Ausgangsmaterial dieses Films von Regisseur James Erskine, der sich der „Legende“ nun abermals annähert. Tatsächlich sind die Bänder hochspannend zu hören. Durch den Verzicht auf einen einordnenden Off-Kommentar und die nachträglich colorierten Filmaufnahmen sowie Fotos entsteht ein sehr lebendiges Bild insbesondere der 1930er bis 1950er Jahre.

Es gibt einiges zu entdecken und zu erfahren in diesem Film: Beispielsweise ein verstörendes Interview mit einem Zuhälter aus Baltimore, der lachend sagt, die Frauen seien stolz auf ihre blauen Flecke gewesen, die er ihnen zugefügt hat. Stimmen von Freundinnen und Freunden aus ihrer Jugend, die sowohl die Prostitution als auch die sexualisierte Gewalt, die Billie Holiday als Kind erfahren hat, mit beschönigenden Begriffen als selbstverständlich markieren – das ist schockierend, aber auch ein Zeitdokument. So wie Tony Bennetts aus heutiger Sicht naiv anmutende Frage, weshalb all die Sängerinnen und Sänger früher oder später zugrunde gehen. Da fragt man sich schon, ob er nicht sehen wollte, was nicht nur bei Billie Holiday im Umfeld geschehen ist – oder es nicht sehen konnte.

Kritisch ist auch das Bild der Musikindustrie, das dieser Film zeichnet, indem er ganz klar deren Rassismus markiert: Billie Holiday wurde entdeckt von dem weißen Produzenten John Hammond, der sie mit Count Basie zusammenbrachte. Als sie auf Tour gingen, musste sich Billie Holiday das Gesicht schwärzen, weil sie „zu weiß“ für diese Band war. Die Zusammenarbeit endete, weil sie sich nicht in die Stereotype pressen lassen wollte, die Hammond für sie vorsah: sie sollte Blues singen, in Filmen die dienstbare Schwarze Frau spielen. Im Interview mit dem Drummer Jo Jones oder  

 

dem Sänger Billy Eckstine ist der Zorn über die Behandlung von Billie Holiday und anderer schwarzer Musikerinnen und Musiker dieser Zeit zu hören. Er kontrastiert die Gleichgültigkeit, mit der der Gitarrist Al Avola hingenommen hat, dass Billie Holiday auf einer Tour im Süden im Bus schlafen musste, weil sie als Schwarze kein Hotelzimmer bekommen hatte. Oder mit der Artie Shaw hinnahm, dass sie seine Band verließ, weil sie im Lincoln Hotel in New York City nicht auftreten durfte. Zudem macht der Film in einer kurzen Montage sehr deutlich, wie weiße Musiker von der Arbeit schwarzer Musiker profitiert haben (und noch immer profitieren). Er thematisiert auch, dass sich Linda Lipnack Kuehl sehr bewusst war, dass sie eine weiße Frau ist, die über eine schwarze Musikerin schreibt.  

Billie Holiday hat einmal gesagt, das Lied, das sie am besten charakterisiert, sei „Don’t explain“. „Billie – Legende des Jazz“ stellt nun sehr zaghaft das Narrativ von Billie Holidays Leben infrage, nachdem sie stets von inneren Dämonen getrieben wurde und letztlich an ihnen zugrunde ging. Es waren wohl doch eher die vielen „äußeren“ Dämonen, die zu ihrem frühen Tod beigetragen haben, vorneweg die vielen Männer, die nur daran interessiert waren, das meiste aus ihr herauszuschlagen. Von diesem Film aber bleibt vielmehr das Material in Erinnerung, die Tonbänder, die colorierten Ausschnitte und Fotos. Und eines wird nach diesem Film auch wieder deutlich: Billie Holiday und ihrer Musik kann man sich nicht entziehen.

Text: Sonja Hartl/ Fred Ulbricht

Billie – Legende des Jazz (2019)

Dokumentarfilm/ Großbritannien/ 96 min

FSK: 12

Regie: James Erskine

Videolink: https://www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/billie-legende-des-jazz-2019#lg=1&slide=0

 

Zurück